Der Klimawandel wirkt sich in vielfältiger Weise auf allergische Erkrankungen aus, berichtet Professor Dr. Claudia Traidl-Hoffmann von der Ambulanz für Umweltmedizin am Uniklinikum Augsburg (1). Betroffen sind vor allem Patienten, die auf Pollen reagieren. Denn die Zeiträume, in denen der Blütenstaub unterwegs ist, werden immer länger, es gibt kaum noch Tage ohne Pollenflug.
Auch die Konzentrationen in der Luft nehmen zu, da Bäume vermehrt Pollen freisetzen, wenn sie z.B. durch Trockenheit oder Luftverschmutzung unter Stress geraten. Zudem werden die Blütenpollen in Verbindung mit Luftstoffschadstoffen offensichtlich aggressiver, d.h. sie setzen mehr Allergene frei.
Auch können ganz neue Pollenarten hinzukommen, wie es das Beispiel Ambrosia zeigt. Diese Pflanze breitet sich weiterhin massiv aus und sorgt bei allen Menschen mit einer Sensibilisierung auf Beifussgewächse für heftige Reaktionen. Zudem sind die Ambrosiapollen besonders klein und dringen tief in die Atemwege vor, wo sie vermehrt Asthmaanfälle auslösen.
Aber selbst für Nichtallergiker könnten die zunehmend fliegenden Partikel künftig zur Gefahr werden. So haben Untersuchungen gezeigt, dass die Pollenkörner die mukosale Immunantwort auf Viren reduzieren, indem sie die Ausschüttung antiviraler Zytokine deutlich herunterregulieren. Und das gilt für Menschen mit und ohne Allergie gleichermassen.Tatsächlich liess sich feststellen, dass an Tagen mit hohen Pollenkonzentrationen in der Luft mehr Menschen einen Schnupfen oder auch eine SARS-CoV-2-Infektion bekommen.
Pollen sind also weit mehr als reine Allergieauslöser, sagt Prof. Traidl-Hoffmann. Menschen mit erhöhtem Risiko für Virusinfektionen sollten sich über den Pollenflug informieren und ggf. im Haus bleiben – oder an den entsprechenden Tagen eine FFP2-Maske tragen, rät die Expertin.
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang sind Gewitter, deren Zahl infolge des Klimawandels zunehmen wird. Die mit ihnen einhergehenden Böen wirbeln die Pollenkörner zunächst auf, starke Unwetter lassen sie platzen. Diese dann deutlich kleineren Partikel überwinden in höheren Luftschichten weite Distanzen, werden wieder nach unten getragen und konzentrieren sich in Bodennähe. Wegen ihrer geringen Grösse können sie tief in die Atemwege eindringen und das sogenannte Gewitterasthma auslösen.
Viele für das globale Klima wichtige Systeme wie der Regenwald, die Permafrostböden oder die Eisschilde Grönlands haben durch Abholzung und Erderwärmung ihre Kipppunkte so gut wie erreicht, warnte die Umweltmedizinerin. Die Auswirkungen auf die Menschheit bei ihrem Ausfall lassen sich nur erahnen.
Wichtig ist daher, dass sich die Menschen an die veränderten Umweltbedingungen anpassen und ihre Resilienz erhöhen, meint Prof. Traidl-Hoffmann. Dazu können klimafreundlichere Städte mit mehr Biodiversität, Grünflächen und zahlreichen Bäumen mit niedrigem Allergenpotenzial gehören. Auf individueller Ebene kann jeder durch einen gesunden Lebensstil mit mehr Bewegung und pflanzenbasierter Ernährung gegensteuern.