Histamin ist ein biogenes Amin mit vielen physiologischen Funktionen, etwa im Magen-Darm-Trakt, als Immunregulator oder als Neurotransmitter im Zentralnervensystem.
Es ist also nicht nur für Allergologen wichtig, betont Professor Dr. Martin Raithel von der Klinik für Gastroenterologie am Malteser Waldkrankenhaus St. Marien in Erlangen (1).
Histamin entsteht unter anderem in Mastzellen und bei der Magensäureproduktion. Vier verschiedene Rezeptoren (H1–4) vermitteln die Reaktionen.
Hohe Histaminspiegel, die etwa bei Entzündungen auftreten, baut der Körper mithilfe der Enzyme Diaminoxidase (DAO) und Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) ab. Kommt zur körpereigenen Histaminproduktion eine äussere Zufuhr (z.B. durch Nahrung oder bakterielle Fehlbesiedelung des Darms) hinzu, steigt die Gesamtbelastung des Körpers.
Beim gesunden Menschen regulieren die Enzyme und die Aktivität der Histaminrezeptoren diese Belastung. Besteht jedoch ein DAO-Mangel, etwa bei Zottenatrophie infolge unbehandelter Zöliakie oder durch Toxine, Mikrobiomveränderungen, Infektionen, Barrierestörungen oder genetische Prädisposition, entsteht eine Histaminintoleranz. Auch ein meist genetisch bedingter HNMT-Mangel kann die Intoleranz auslösen.
Von der nichtimmunologischen Unverträglichkeit unterscheidet sich die Histaminvergiftung. Sie tritt nach der Aufnahme von mehr als 250 mg Histamin auf, da dann die Abbaukapazität der Enzyme überschritten ist.
Kommt ein Patient aufgrund von Internetrecherchen etc. mit der Eigendiagnose Histaminintoleranz in die Sprechstunde, sollte man bei der Diagnostik systematisch vorgehen, um einen anamnestischen Bias zu verhindern.
Prof. Raithel empfiehlt, insbesondere nach der Verträglichkeit von Alkohol zu fragen, da viele Patienten mit DAO-Störung ihn nicht tolerieren. Eine Unverträglichkeit von Rotwein ist in diesem Zusammenhang allerdings wenig aussagekräftig, da er eine Vielzahl von biogenen Aminen enthält.
Aufschlussreich dürfte zudem die Frage nach typischen histaminhaltigen Lebensmitteln wie Sauerkraut und Thunfisch sein.
Die physiologischen endogenen Plasmahistaminspiegel sind individuell verschieden und liegen in einem engen Bereich. Beeinflusst werden sie unter anderem von
Wird der individuelle Schwellenwert überschritten, treten zunächst gastrointestinale Symptome auf (erhöhte Magensäuresekretion, Dyspepsie, Schleimproduktion, Kontraktion der glatten Muskulatur).
Bei weiterem Anstieg folgen unter anderem Tachykardie, Kopfschmerz und Flush. Dies kann allerdings auch bis hin zu Hypotonie und zum Bronchospasmus reichen.
Liegt eine Grunderkrankung vor, die mit hohen endogenen Histaminspiegeln einhergeht (z.B. Mastozytose), genügt eine kleine Menge Rotwein, um Beschwerden auszulösen, berichtet Prof. Raithel.
Neben den klassischen Akutsymptomen können weitere atypische Zeichen auf eine Histaminintoleranz hinweisen, etwa:
Klinisch gilt es, einige Differenzialdiagnosen auszuschliessen (siehe Kasten).
Dringender Verdacht besteht, wenn nach dem Verzehr histaminreicher Kost mindestens zwei typische Symptome auftreten, die auf Antihistaminika ansprechen.
Weitere Bestätigung liefern erhöhte Plasmahistaminspiegel sowie der Nachweis einer reduzierten DAO- und/oder HNMT-Aktivität.
Aufschluss kann auch eine zweiwöchige histaminarme Diät mit Laboruntersuchungen an Tag 1, 7 und 14 geben. Ein Pricktest mit Histamin ist ebenfalls möglich. Zur Bestätigung der Diagnose sollte stets eine standardisierte orale Provokation mit 75 mg Histamin in der Klinik erfolgen.
Die Therapieoptionen bei Histaminintoleranz haben alle ein schlechtes Evidenzniveau, da die Studienkollektive meist sehr heterogen sind, erläutert Prof. Raithel.
An erster Stelle stehen Lebensstilinterventionen, darunter histaminarme Kost, Alkoholverzicht und die Vermeidung bestimmter Medikamente.
Nach Meinung des Referenten kann auch die Substitution von DAO einen Versuch wert sein. Allerdings wird das oral aufgenommene Enzym im Magen und Pankreas zerstört, sodass der Effekt oft gering ist.
Eine dritte Option bietet die Gabe von H1- und H2-Antihistaminika. Ähnlich gut spricht der endogene Histaminspiegel auf die hochdosierte intravenöse Gabe von Vitamin C an, die zudem weitgehend nebenwirkungsfrei ist.
Bei zwei Dritteln der Patienten erreicht man mit diesen vier Massnahmen eine deutliche Symptomreduktion, so Prof. Raithel.
Ergänzend empfiehlt er die Gabe von Heilerde, die das Histamin im Darm bindet. Hierzu läuft derzeit in Deutschland eine prospektive Studie. Weitere Optionen sind Probiotika oder Saccharomyces-Präparate.
Befinden sich im Stuhl histaminbildende Bakterien, können Rifaximin oder Doxycyclin sinnvoll sein. Für die symptomatische Therapie stehen u.a. Mebeverin und Ivabradin zur Verfügung, bei Tachykardie ist Flüssigkeitszufuhr angezeigt.
130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin