Bedeutung von Magistralrezepturen in Krisenzeiten

Heilpflanzen als Lösung bei Medikamentenengpässen und Antibiotikaresistenzen

Mit einer Magistralrezeptur kann eine Therapie individualisiert werden. Formula-Arzneimittel können zudem gute Dienste bei Medikamentenengpässen und Antibiotikaresistenzen leisten, und zu einer nachhaltigeren Medizin beitragen, wie Dr. Beatrix Falch*, Apothekerin und SMGP-Vizepräsidentin an der Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) ausführte.

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2. Mai 2024
Medizinische Pflanzen: Tausendgüldenkraut, Rosmarin, Thymian und Thymianöl.
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Tausendgüldenkraut (li. oben), Thymianöl (li. unten) und Rosmarin (grosses Bild) haben eine antibakterielle Wirkung.

Apotheken haben mit sogenannten Formula-Arzneimitteln die Möglichkeit, selbst Präparate herzustellen. Sie können diese nach eigener oder einer in der Fachliteratur (z.B. Pharmakopöe) veröffentlichten Formel mit nicht verschreibungspflichtigen Substanzen nach GMP (Good Manufacturing Practice) produzieren.

«Weil sie meist ad hoc und nur für eine bestimmte Person hergestellt werden, sind sie von der Zulassungspflicht durch Swissmedic befreit», erklärt Dr. Falch. Werden Formula-Arzneimittel von Arzt oder Ärztin verschrieben (= Magistralrezepturen), können diese auch verschreibungspflichtige Substanzen enthalten. Sind darüber hinaus die verwendeten Wirk- und Hilfsstoffe in der Arzneimittelliste mit Tarif (ALT) gelistet, übernimmt die Grundversicherung die Kosten solcher Magistralrezepturen.

Ätherische Öle wirken antiinfektiv

Mit Formula-Arzneimitteln lassen sich Therapien individualisieren. Sie können zudem gute Dienste im Zusammenhang mit Antibiotika-Resistenzen leisten.

In der Phytotherapie haben ätherische Öle zum Teil ausgeprägte antibakterielle und antivirale Effekte. Wie alle pflanzlichen Präparate sind auch sie Vielstoffgemische. «Die Inhaltsstoffe unterhalten untereinander ein ausgedehntes pharmakologisches Netzwerk», erklärt Dr. Falch.

Die im Thymianöl enthaltenen Substanzen beispielsweise wirken unterschiedlich auf die Membran und andere Zellbestandteile. «So dringt Phenol, das stark antiinfektiv wirkt, eigentlich nicht gut in die Zelle ein. Das weniger stark antiinfektiv wirkende Monoterpen p-Cymen jedoch verbessert aufgrund seiner Struktur die Membran-Durchlässigkeit und sorgt so auch dafür, dass das Phenol besser in die Zelle hineinkommt, wo es seine antibakteriellen Effekte entfalten kann», erläutert die Phyto-Expertin. Solche Synergien können mit Mischungen noch verstärkt werden.

Eine andere spannende Eigenschaft hat Geraniol, das je nach Chemotyp in mehr oder weniger grosser Menge ebenfalls im Thymianöl enthalten ist. Beispielsweise können einige resistente Bakterien Antibiotika, die in die Zelle eingedrungen sind, gleich wieder aus der Zelle hinausschleusen. Das Geraniol kann diesen Pumpmechanismus hemmen. «Die Kombination aus einem Antibiotikum und einem ätherischen Öl könnte somit Resistenzen von Bakterien minimieren oder sogar ausschalten», erläutert Dr. Falch.

Bakterien können kaum Resistenzen gegen pflanzliche Präparate bilden

Wie immer in der Phytotherapie ist es wichtig, frühzeitig mit der Behandlung zu beginnen. Je früher das pflanzliche Mittel zum Einsatz kommt, desto besser ist die Wirkung. Weil pflanzliche Präparate Vielstoffgemische sind, können Bakterien – anders als gegen die chemisch-pharmazeutisch hergestellten Monopräparate – auch kaum Resistenzen entwickeln.

Erforscht ist auch, wie einzelne Inhaltsstoffe der Pflanzen wirken und wie stark ihre Effekte sind. «Insbesondere Thymol, 1,8-Cineol und Terpinen-4-ol sind ausgesprochen gut wirksam gegenüber Antibiotika-resistente Bakterienstämme», erklärt die Expertin. Eine adjuvante Phytotherapie könne deshalb beitragen, Anti­biotika einzusparen. Mit Aromatogrammen ist es heute möglich, die ätherischen Öle zu identifizieren, die besonders gut gegen ein bestimmtes Bakterium wirken. «In komplexen Fällen kann es sich lohnen, bei einem Patienten in einem Abstrich die Infektionskeime zu analysieren und dann gezielt phytotherapeutisch zu behandeln», so Dr. Falch.

Formula-Arzneimittel tragen zur Nachhaltigkeit bei

Die Phytotherapie kann auch bei Medikamenten- und Wirkstoffengpässen gute Dienste leisten. Für Harnwegsinfekte etwa gibt es mehrere Fertigpräparate, etwa mit Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel (Angocin®), mit Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel und Rosmarinblättern (Canephron®) sowie mit Bärentraubenblättern (Cystinol®). Apotheken können auch mit deren Inhaltsstoffen Formula-Arzneien herstellen.

«Ein Grossteil der phythotherapeutischen Formula-Arzneimittel-Produktion betrifft Heilpflanzen, die nicht als Fertigpräparat erhältlich sind», sagte die Referentin. Sie werden unter anderem auf der Basis einer ärztlichen Magistralrezeptur hergestellt. Worauf beim Ausstellen solcher Rezepturen zu achten ist, wird in den SMGP-Kursen gelehrt.

«Formula-Arzneimittel schliesslich können auch zu mehr Nachhaltigkeit in der Medizin beitragen», führte Dr. Falch weiter aus. Durch eine geschickte Wahl von Pflanzen mit speziellem Blick auf Gefährdungslisten, Anbau, Verpackung, Transport, Rohstoffmanagement und Lagerhaltung könne einiges für eine umweltfreundlichere Medizin erreicht werden.