Und doch war bislang unklar, welche Wichtigkeit etwa in Leitlinien dem Sport bei Depressionen eingeräumt werden sollte. Denn bislang stützte sich die Evidenz lediglich auf viele unterschiedliche, teils auch eher kleinere, Studien.
Nun überprüfte ein internationales Forscherteam in einer grossen Netzwerk-Metaanalyse 218 klinische Studien mit insgesamt 495 Armen und 14.170 Teilnehmern. Sie zogen dabei Untersuchungen in Betracht, die körperliche Aktivität entweder mit anderen etablierten Behandlungen oder mit Kontrollen ohne Behandlung (z.B. Patienten auf einer Warteliste) verglichen.
Verglichen mit aktiven Kontrollen (z.B. konventionelle Behandlung oder Placebo-Tabletten) konnten sie einen mässig besseren Effekt von allen Arten körperlicher Aktivität zeigen, darunter:
Gehen oder Joggen
Yoga
aerobes Training
Tai Chi oder Quigong.
Wie schon in früheren Studien erwiesen sich dabei Sportarten, bei denen man ins Schwitzen kommt (z.B. aerobes Training) als besonders effektiv bei der Depressionsbekämpfung. Diese Arten des Trainings zeigten sogar eine zahlenmässig grössere Wirksamkeit als selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und eine kognitive Verhaltenstherapie. Aber auch leichtere körperliche Aktivitäten (z.B. Gehen, Hatha-Yoga) konnten in der Metastudie depressive Symptome verbessern.
Die Effekte waren dabei bei Einzel- und Gruppensportarten ähnlich, was darauf hinweist, dass Sport bei Depressionen nicht allein aufgrund von mit ihm verbundenen Sozialkontakten wirksam ist.
Die Ergebnisse erwiesen sich selbst unter Berücksichtigung von Verzerrungen wie mangelnder Studienverblindung und Komorbiditäten der Teilnehmer als robust. «Selbst wenn man konservative Schätzungen zugrunde legt (d. h. das ungünstigste Ende des glaubwürdigen Intervalls), können Ärzte davon ausgehen, dass Patienten durch Gehen, Laufen, Yoga, Qigong, Krafttraining und gemischte aerobe Übungen klinisch signifikante Wirkungen erfahren», schreiben die Autoren in ihrer Arbeit.
Entgegen der Erwartungen zeigten Studien, die ein gewisses Mass an Autonomie der Teilnehmer beschrieben (etwa die Wahl der Sportart, Häufigkeit, Intensität, oder des Zeitpunkts), tendenziell schwächere Auswirkungen als Studien, die dies nicht taten. Das deutet darauf hin, dass gezielte Übungsvorgaben wichtig sein könnten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Der «Sport auf Rezept» könnte bei Depressionen also besser wirksam sein, als dem Patienten maximale Autonomie bei der Auswahl und Durchführung zu lassen.
Für die Autoren sollte daher die körperliche Aktivität neben Standardbehandlungen wie Medikamenten und kognitiver Verhaltenstherapie unbedingt eine Rolle spielen. Besonders Patienten, die eine Psychotherapie ablehnen, könnten profitieren. Denn obwohl das Vertrauen in die Evidenz für Bewegung in Studien weniger stark war als für die kognitive Verhaltenstherapie, sind die Effektgrössen vergleichbar.
Dass Sport für Patienten mit Depressionen nicht immer einfach ist, fasst Professor Dr. Michael Bloomfield, Leiter der Forschungsgruppe für translationelle Psychiatrie am University College London so zusammen: «Bei schwereren Formen von Depressionen ist das Angebot von körperlicher Betätigung nicht unbedingt hilfreich. Hat jemand zum Beispiel Schwierigkeiten damit, aus dem Bett zu kommen, hat er wohl kaum die Kraft, ins Fitnessstudio zu gehen.»
Hilfreicher sei es, mit dem Patienten gemeinsam eine für ihn taugliche Therapie zu finden.