Diabetiker besonders gefährdet

COVID-19: Auf den Blutzucker achten

Menschen mit Diabetes oder auch schon Vorstufen zum Diabetes erkranken bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 besonders häufig schwer. Aber auch bei COVID-PatientInnen ohne Diabetes entgleisen nicht selten die Blutzuckerspiegel. Die Wissenschaft fragt sich mittlerweile: Löst SARS-CoV-2 Diabetes aus?

Diabetes test. Woman hands checking blood sugar level by Glucose meter on blue background, copy space
iStock/Prostock-Studio

Nur bei rund 25% der Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, liegen Komorbiditäten vor. Im Krankenhaus hingegen sind jene deutlich überrepräsentiert: hier machen die Vorerkrankten zwischen 60 und 90% der COVID-19-PatientInnen aus [1].

Diabetes: Dynamit im Infektionsgeschehen

Ein Patientengruppe, die für schwere COVID-19-Verläufe besonders gefährdet ist, sind DiabetikerInnen. „Diabetes ist wie Dynamit, wenn man an COVID-19 erkrankt,“ fasst Prof. Paul Zimmet, MD, der metabolische Erkrankungen an der Monash University in Melbourne, Australien, erforscht, seine Beobachtungen in einem Interview mit der Fachzeitschrift Nature zusammen [2]. Tatsächlich: Liegt bei PatientInnen ein Diabetes vor, ist ihr Risiko, bei einer SARS-CoV-2-Infektion einen schweren COVID-19-Verlauf zu erleiden um bis zu vierfach erhöht [3]. Das Risiko, an der Viruserkrankung zu versterben steigt mit einem Typ-I-Diabetes um den Faktor 3.5, mit einem Typ-II-Diabetes um den Faktor 1.8 an [4].

Blutzucker gut kontrollieren!

Der genaue Grund dafür, warum Diabetiker häufiger schwere Krankheitsverläufe erleiden, ist noch nicht bekannt. Viel spricht aber dafür, dass der entscheidende Faktor die Hyperglykämie (unkontrollierter Anstieg des Blutzuckers) ist.

Eine Hyperglykämie kommt ausser bei diagnostizierten Diabetikern auch bei Personen mit Vorstufen zum Diabetes (Prädiabetes oder Störungen der Glukosetoleranz) vor. Diese Störungen bleiben häufig jahrelang unerkannt. Möglicherweise sind damit also viele Personen betreffen, denen es gar nicht bewusst ist, dass sie womöglich ein erhöhtes COVID-19-Risiko haben. Dazu passt, dass PatientInnen mit Prädiabetes ebenfalls schwerer an COVID-19 erkranken [5].

Überhaupt scheint der Blutzucker einiges darüber auszusagen, wie schwer eine COVID-19-Erkrankung verläuft, und ob die Patienten sie überleben. Zwei Forschungsarbeiten konnten beispielsweise zeigen, dass bei hospitalisierten Patienten höhere Blutglukosewerte kurz vor oder während des Spitalsaufenthaltes verlässlich als Warnsignal für einen schlechteren Verlauf und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko dienten [6, 7].

Dagegen hatten in einer Untersuchung hospitalisierte Typ-II-DiabetikerInnen, deren Blutzuckerwerte innerhalb der Zielbereiche lagen, nur einen Bruchteil des Mortalitätsrisikos von Personen mit Diabetes und schlecht eingestelltem Blutglukosespiegel (HR 0.14) [8]. Das könnte heißen, dass eine Hyperglykämie ein wichtiger Faktor bei einer COVID-19-Erkrankung sein könnte. Und dann bestünde auch die Hoffnung, dass die Verläufe und das Überleben von PatientInnen mit COVID-19 durch eine gute Blutzuckerkontrolle verbessert werden könnte [9].

Löst SARS-CoV-2 Diabetes aus?

Aber nicht nur verschlimmert ein hoher Blutzucker eine COVID-19-Erkrankung: Einiges deutet darauf hin, dass COVID-19 umgekehrt auch die Blutzuckerregulation verschlechtert. Bei DiabetikerInnen mit COVID-19 gibt es zahlreiche Berichte über unkontrollierte Entgleisungen des Diabetes. Darunter sind etwa Hyperglykämien oder akute hyperglykämische Krisen, die aussergewöhnlich hohe Insulindosen erfordern. Ausserdem traten gehäuft seltene Diabetes-Komplikationen bei PatientInnen mit COVID-19  auf (z.B. diabetische Ketosen, Ketoazidosen und hyperosmolare hyperglykämische Zustände) [10].

Immer wieder beobachteten ÄrztInnen ausserdem, dass ein Diabetes bei vormals gesunden PatientInnen Wochen oder Monate nach einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 auftrat [2]. Nun deuten auch erste Forschungsarbeiten darauf hin, dass dies der Fall sein könnte [11].

Aktuell lässt sich jedoch noch nicht mit Sicherheit sagen, ob, oder welche Formen von Diabetes, von COVID-19 ausgelöst werden können [12]. Darüber, ob ein Typ-I-Diabetes von einer COVID-Erkrankung begünstigt wird, lieferten zwei epidemiologische Untersuchungen unterschiedliche Erkenntnisse: Während eine britische Untersuchung eine erhöhte Inzidenz von Typ-I-Diabetes während der Pandemie verzeichnete, stellte eine größere Studie aus Deutschland keine auffälligen Fallzahlen fest [13, 14].

Aufgrund der schlechten Datenlage wurde nun von mehreren ÄrztInnen die neue Datenbank CoviDIAB ins Leben gerufen. Dort können ÄrztInnen nach einer COVID-19-Infektion neu aufgetretene Diabetes-PatientInnenfälle eintragen, vergleichen und Forschung damit betreiben.

SARS-CoV-2 in der Bauchspeicheldrüse

Forscher rätseln ausserdem, wie SARS-CoV-2 Diabetes auslösen könnte. Eine Möglichkeit wäre etwa, dass das Virus selbst die Insulin produzierenden Beta-Zellen zerstört – eine andere, dass es die Insulinsekretion in diesen Zellen behindert [12].

Für die Zerstörungs-Theorie spricht, dass auf CT-Aufnahmen von PatientInnen mit schweren COVID-19-Verläufen gelegentlich krankhafte Veränderungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) beobachtet wurden [15]. Einige Patienten mit COVID-19 hatten ausserdem Symptome einer akuten Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis). Und im Forschungslabor wurde längst gezeigt, dass die SARS-CoV-2-Viren in der Lage sind, Beta-Zellen aus Bauchspeicheldrüsen in der Petrischale (Organoide) zu befallen und zu zerstören [16].

Ob diese Versuche die Realität gut widerspiegeln ist allerdings unklar. Bis jetzt konnte nämlich der Korezeptor ACE2, den das Virus benötigt, um Zellen zu befallen, noch nicht auf den Insulin produzierenden Regionen menschlicher Pankreas-Proben nachgewiesen werden [12].

Im Endeffekt muss das Virus muss die Bauchspeicheldrüse aber gar nicht zerstören, um einen Diabetes zu verursachen: Haben Menschen nämlich bereits eine erbliche Neigung oder eine Vorstufe zum Diabetes, könnte eine Entzündung wie die von SARS-CoV2 ausgelöste über Störungen des Stoffwechsels oder von Hormonen den letzten Anstoss geben, sodass der Diabetes durchbricht [10].

Behandlung von COVID-19 bei Diabetes

Aufgrund des höheren Risikos von Menschen mit Hyperglykämien empfiehlt eine aktuelle Übersichtsarbeit, den Blutzuckerspiegel von hospitalisierten Patienten gut zu beobachten. Bei Menschen mit Typ-II-Diabetes sollten die Blutzuckerwerte ausserdem im Zielbereich bleiben. Dabei sollten ausschließlich Wirkstoffe angewendet werden, die keine Hypoglykämien, Laktatazidosen und Ketoazidosen oder Flüssigkeitsansammlungen hervorrufen [9].

Droht eine Diabetes-Pandemie?

Die Lockdowns während der Pandemiewellen haben in der Schweiz das Ernährungs- und Bewegungsverhalten vor allem bei den unter 45-jährigen neu aufgestellt. Auch die Inaktivität der Schweizer war phasenweise erhöht [17].

Bei vielen Menschen hat die Pandemie Veränderungen in Alltag und Arbeitswelt bewirkt. Der Anteil der Beschäftigten, die von zuhause arbeiten, stieg während der Corona-Krise von 25 auf 50% an [18]. Einiges deutet darauf hin, dass der Home-Office-Anteil auch nach Ende der Pandemie nicht auf das Vorkrisen-Niveau zurückfallen wird [19]. Aufgrund dieser Änderungen könnte ein Anstieg von Adipositas und Diabetes drohen. Der Gesundheitsvorsorge sollte jetzt darum ein besonders hoher Stellenwert zuteilwerden.

Referenzen
  1. Wiersinga, W.J., et al., Pathophysiology, Transmission, Diagnosis, and Treatment of Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): A Review. JAMA, 2020. 324(8): p. 782-793.
  2. Mallapaty, S., Mounting clues suggest the coronavirus might trigger diabetes. Nature, 2020. 583(7814): p. 16-17.
  3. Targher, G., et al., Patients with diabetes are at higher risk for severe illness from COVID-19. Diabetes Metab, 2020. 46(4): p. 335-337.
  4. Barron, E., et al., Associations of type 1 and type 2 diabetes with COVID-19-related mortality in England: a whole-population study. Lancet Diabetes Endocrinol, 2020. 8(10): p. 813-822.
  5. Smith, S.M., et al., Impaired glucose metabolism in patients with diabetes, prediabetes, and obesity is associated with severe COVID-19. J Med Virol, 2021. 93(1): p. 409-415.
  6. Wang, S., et al., Fasting blood glucose at admission is an independent predictor for 28-day mortality in patients with COVID-19 without previous diagnosis of diabetes: a multi-centre retrospective study. Diabetologia, 2020. 63(10): p. 2102-2111.
  7. Wu, J., et al., Elevation of blood glucose level predicts worse outcomes in hospitalized patients with COVID-19: a retrospective cohort study. BMJ Open Diabetes Res Care, 2020. 8(1).
  8. Zhu, L., et al., Association of Blood Glucose Control and Outcomes in Patients with COVID-19 and Pre-existing Type 2 Diabetes. Cell Metab, 2020. 31(6): p. 1068-1077 e3.
  9. Stefan, N., A.L. Birkenfeld, and M.B. Schulze, Global pandemics interconnected - obesity, impaired metabolic health and COVID-19. Nat Rev Endocrinol, 2021. 17(3): p. 135-149.
  10. Sathish, T., et al., Potential metabolic and inflammatory pathways between COVID-19 and new-onset diabetes. Diabetes Metab, 2021. 47(2): p. 101204.
  11. Sathish, T., et al., Proportion of newly diagnosed diabetes in COVID-19 patients: A systematic review and meta-analysis. Diabetes Obes Metab, 2021. 23(3): p. 870-874.
  12. Atkinson, M.A. and A.C. Powers, Distinguishing the real from the hyperglycaemia: does COVID-19 induce diabetes? Lancet Diabetes Endocrinol, 2021. 9(6): p. 328-329.
  13. Tittel, S.R., et al., Did the COVID-19 Lockdown Affect the Incidence of Pediatric Type 1 Diabetes in Germany? Diabetes Care, 2020. 43(11): p. e172-e173.
  14. Unsworth, R., et al., New-Onset Type 1 Diabetes in Children During COVID-19: Multicenter Regional Findings in the U.K. Diabetes Care, 2020. 43(11): p. e170-e171.
  15. Liu, F., et al., ACE2 Expression in Pancreas May Cause Pancreatic Damage After SARS-CoV-2 Infection. Clin Gastroenterol Hepatol, 2020. 18(9): p. 2128-2130 e2.
  16. Yang, L., et al., A Human Pluripotent Stem Cell-based Platform to Study SARS-CoV-2 Tropism and Model Virus Infection in Human Cells and Organoids. Cell Stem Cell, 2020. 27(1): p. 125-136 e7.
  17. Gesundheitsförderung Schweiz. Arbeitspapier 52. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung. Stand Januar 2021, abgerufen am 6.6.2021.
  18. Deloitte. Corona-Krise beschleunigt die Verbreitung von Home-Office, 14. Mai 2020, abgerufen am 6. Juni 2021.
  19. Deloitte. Wo arbeitet die Schweiz nach der COVID-19-Pandemie?, 26. März 2020, abgerufen am 6. Juni 2021.