Besonders im Winter, wenn Schnupfen, Husten und Halsschmerzen grassieren, zeigt sich, wie unterschiedlich Betroffene damit umgehen. Während die junge Mutter trotz dickem Kopf und laufender Nase die Kinder zur Kita bringt und danach ins Büro fährt, bleibt ihr Mann im Bett. «Schatz, mir geht es so schlecht, ich bleibe heute liegen.»
Hier stellt sich die Frage: Wer ist im Kampf gegen Erreger wirklich das «stärkere» Geschlecht? Die Journalistin Carla Delgado hat untersucht, ob der Mythos Männergrippe wissenschaftlich haltbar ist (1).
Der Begriff Männergrippe umfasst nicht nur Influenza, sondern allgemein virale Infektionen der oberen Atemwege. Das erschwert die wissenschaftliche Untersuchung. Doch es gibt viele Hinweise, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Erreger reagieren. Eine Erklärung liefert der Einfluss der Sexualhormone auf das Immunsystem.
Östrogen wirkt etwa oft entzündungshemmend. Studien zu Covid-19, SARS und MERS zeigen, dass höhere Östrogenspiegel mit milderen Krankheitsverläufen einhergehen. Gleichzeitig können Östrogene die Immunantwort verstärken. Das weibliche Abwehrsystem ist generell aktiver, was auch die höhere Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen erklärt. Frauen eliminieren Viren schneller, was sie bei Infektionen wie Hepatitis B oder Dengue begünstigt. Männer erkranken häufiger und schwerer, während Frauen meist mit geringerer Viruslast kämpfen.
Androgene wie Testosteron wirken dagegen eher hemmend auf die Abwehr. Männer mit hohem Testosteronspiegel bilden nach einer Grippe-Impfung weniger Antikörper. Ob Männer oder Frauen bei einer Influenza schlechter abschneiden, hängt wohl vom Virusstamm ab. Männer scheinen anfälliger für saisonale Grippe, Frauen dagegen für pandemische Viren.
Neben Hormonen spielt das Verhalten eine Rolle. Frauen gehen früher zum Arzt und nutzen häufiger Impfangebote. Männer meiden Arztbesuche oft, möglicherweise aus Angst, Schwäche zu zeigen – ein gesellschaftlicher Druck, der sie belastet.
Suchen Männer doch eine Praxis auf, übertreiben sie ihre Beschwerden nicht – anders als Frauen. Zwei Studien zeigen, dass HNO-Ärzte die Symptome von Patientinnen mit akuter Rhinosinusitis milder einschätzten, als diese sie selbst empfanden. Bei Männern war die Abweichung geringer. Eine dritte Untersuchung ergab, dass Fachpersonal die Beschwerden männlicher Patienten sogar stärker bewertete, als diese selbst angaben.
Trotz der Hinweise auf die stärkere Immunabwehr von Frauen lässt sich die «Männergrippe» wissenschaftlich nicht belegen. Bevor weitere Studien folgen, müsste der Begriff klarer definiert werden. Fest steht: Gesund wird niemand, indem er Symptome ignoriert oder übertreibt. Wichtiger ist es, ausreichend zu trinken, sich auszuruhen und dem Körper Zeit zur Erholung zu geben – für Männer wie Frauen gleichermassen.