Vorsicht Verwechslungsgefahr!

Vergiftungen mit Pflanzen und Pilzen

Tollkirsche, Knollenblätterpilz und Herbstzeitlose: Das sind nur einige giftige Doppelgänger mancher Köstlichkeit aus der Natur. Entsprechend vielfältig sind auch die Vergiftungserscheinungen, die nach Verzehr einer Mahlzeit mit selbst Gesammeltem auftreten können.

|
27. Juli 2023
Eine nicht erkennbare Person trägt einen Korb mit gesammelten Pilzen durch den Wald
PIKSEL/gettyimages

Dr. med. Cornelia Reichert ist Leitende Ärztin bei Tox Info Suisse. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung* berichtet sie über die häufigsten Fälle von Intoxikationen mit Pflanzen und Pilzen und erklärt einfache Faustregeln zu deren Unterscheidung.

Am kritischsten, zeigt die Expertin auf, sind Vergiftungen mit Bestandteilen der Eibe, der dem Bärlauch ähnelnden Herbstzeitlose, sowie dem Knollenblätterpilz.

Notruf bei Vergiftungen

Tox Info Suisse bietet auf seiner Notrufnummer 145 rund um die Uhr kostenlos ärztliche Auskunft bei Vergiftungen oder Verdacht auf Vergiftungen. Ferner stellt Tox Info Suisse Merkblätter zu Behandlungsschemata bei Vergiftungen und Informationen zu Therapiemassnahmen zur Verfügung.

Die Eibe: Kardiologische Symptome mit Lebensgefahr

Sehr ungünstig sind beispielsweise Vergiftungen nach Verzehr von Bestandteilen der Eibe (Taxus baccata). Denn ausser den süssen und ungiftigen roten Früchten sind alle Pflanzenteile der Eibe giftig. Gehalt und Zusammensetzung der Eibengifte schwanken je nach Pflanzenteil, Jahreszeit, Standort und Sorte. So findet sich etwa das nach dem Namen der Eibe abgeleitete Alkaloid-Gemisch Taxin in den Nadeln, dem Samen, sowie im Holz des Baumes. Zusätzlich enthält die Eibe die sogenannten cyanogenen Glykoside, die zu denam weitesten verbreiteten Pflanzengiften zählen. Im Winter ist der Verzehr von Eibenbestandteilen am ungünstigsten – denn dann weisen die Nadeln den höchsten Taxingehalt auf.

Vor allem Jugendliche nehmen gelegentlich absichtlich Eibennadeln, in Form eines Sudes zu sich. Das kann böse enden: Es kann zu schweren bis zu tödlichen Verläufen kommen. Auffällig sind gastrointestinale Symptome, Mydrase, komatöse Zustände und Krämpfe. Bestandteile des kardiologischen Erscheinungsbildes sind Bradykardien, ein AV-Block, eine QRS-Verbreiterung und ventrikuläre Tachykardien. Dr. Reichert betont, dass Unfälle mit der Eibe, wo meist Kinder Eibenbestandteile geschluckt haben, in den meisten Fällen glimpflich ausgehen. Die absichtliche Einnahme verläuft jedoch oft schwer bis tödlich.

Wolfsmilchgewächse verursachen verbrennungsähnliche Symptome

Zwar meist nicht das Verdauungssystem, aber oft die Haut betreffen Vergiftungen mit Wolfsmilchgewächsen (Euphorbia sp.). Diese sind häufig in Gärten anzutreffen und nicht immer einfach als solche zu erkennen – die verschiedenen Arten unterscheiden sich zum Teil erheblich untereinander, und ihr Blütenbesatz ist oft unscheinbar. Auch Zimmerpflanzen wie der Weihnachtsstern oder der Christusdorn gehören zu dieser Pflanzenfamilie.

Die Sonnwendwolfsmilch wächst in vielen Gärten und wild in der Natur. Ihr weisser Saft ist giftig.
GettyTim82/gettyimages

Die Sonnwendwolfsmilch wächst in vielen Gärten und wild in der Natur. Ihr weisser Saft ist giftig.

Gemein ist allen Mitgliedern der Wolfsmilchgewächse aber ein weisser Milchsaft, welcher bei Hautkontakt zu schweren Reizsymptomen, Rötungen, und Schwellungen bis hin zur Blasenbildung führen kann. Noch gefährlicher ist es, wenn die Augen mit dem weissen Saft in Kontakt kommen: Dann kann es mitunter zu starker Reizung, Schmerzen, Ödembildung bis hin zur Kornealäsionen kommen. Besonders häufig ist der Kontakt mit dem Saft des Weihnachtssterns (Euphorbia pulcherrima). Dieser ist jedoch aber zwar auch giftig, die hierzulange gebräuchliche Zuchtform verursacht bei Kontakt jedoch nur leichte Symptome.

Die Therapie ist bei Wolfsmilch-bedingten Läsionen symptomatisch, und ähnelt derjenigen bei thermischen Verbrennungen.

Die 5-Rote-Beeren-Regel

Auch wenn einige Beeren in der Natur und im Garten eine wahre Gaumenfreude sind, reichen andere aber von ungeniessbar bis giftig. Besonders verführerisch, etwa für Kinder, sind hierzulande häufig vorkommende Pflanzen mit roten Beerenbehang, darunter die Stechpalme (Ilex sp.), die Zwergmispel (Cotoneaster sp.), der Schneeball (Viburnum sp.), sowie das Geissblatt, auch Heckenkirsche genannt (Lonicera sp.).

Bei Einnahme von nicht mehr als fünf roter Beeren (5-Rote-Beeren-Regel) kommt es maximal zu leichten Magendarmsymptomen - es ist aber keine schwere Vergiftung zu befürchten, beruhigt Dr. Reichert. Davon ausgenommen ist die Zaunrübe (Bryonia sp.), die zu den Kürbisgewächsen gehört. Sie hat dieselben Inhaltsstoffe wie bittere Kürbisse (Cucurbitacine) und kann auch schon beim Verzehr bei weniger als fünf Beeren zu gastrointestinalen Symptomen führen.

Bei schwarzen, blauen und grünen Beeren kann meistens überhaupt Entwarnung gegeben werden, ausser es handelt sich dabei um die Tollkirsche (Atropa belladonna). Nach dem Verzehr von Tollkirschen kann es zu schweren bis lebensbedrohlichen Vergiftungen kommen. Spitzenreiter bei den Anfragen bei Tox Suisse sind übrigens die Beeren von Liguster und Kirschlorbeer, auch hier sind fünf bis zehn Beeren harmlos, so Dr. Reichert.

Nicht unbedingt wohlschmeckend, aber auch nicht sehr gefährlich: Die Beeren des Ligusters
Robert Knapp/gettyimages

Nicht unbedingt wohlschmeckend, aber auch nicht sehr gefährlich: Die Beeren des Ligusters.

Verwechslung im Frühling: Giftiger Doppelgänger Herbstzeitlose

Über die letzten zehn Jahre hat Tox Info Suisse eine Verdoppelung der Anfragen zu Verwechslungen des Bärlauches (Allium ursinum) mit der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) und dem Maiglöckchen (Convallaria majalis) verzeichnet, deren Blätter eine ähnliche Optik aufweisen. Viele Betroffene berichten dann nach einer vermeintlichen Bärlauchmahlzeit von Magen-Darm-Symptomen.

Besonders giftig sind dabei die Blätter der Herbstzeitlosen, die das Spindelgift Colchicin enthalten. Colchicin kann – in ausreichender Dosis eingenommen – sogar zum Multiorganversagen bis hin zum Tod führen. Schon rund 50 Gramm Herbstzeitlosenblätter sind kritisch, berichtet die Expertin.

Beim Maiglöckchen hat Tox Info Suisse in den neueren Fallaufzeichnungen keine schwereren Fälle mehr verzeichnet. Die wichtigsten Zeichen einer Vergiftung (nach Einnahme mehrerer Blätter) sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sowie ein verlangsamter oder unregelmässiger Puls.

Knollenblätterpilz verursacht die grösste diagnostische Herausforderungen

Es gibt Tausende von Pilzarten, berichtet Dr. Reichert; die wenigsten sind essbar, die meisten giftig oder zumindest ungeniessbar.

Häufigste Tox Info-Anfragen bei Pilzen betreffen Speisepilze – entweder in Form einer unsachgemässen Zubereitung, oder bereits verdorbenen Exemplaren. Die grösste diagnostische Herausforderung bei Pilzvergiftungen ist aber der Ausschluss einer Vergiftung mit dem amatoxinhaltigen Knollenblätterpilz: Eine Verwechslung eines Speisepilzes beispielsweise mit dem Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) kann schnell in Lebensgefahr enden – dieser ist hochgiftig und führt schnell zu einem Leberversagen.

Welcher Pilz genau konsumiert wurde, kann bei Tox Info anhand von Fotos nicht beurteilt werden, dazu braucht es das Fachwissen eines Pilzexperten, so Dr. Reichert. Ein einfaches Kriterium zum Ausschluss einer Vergiftung ist aber die Optik der Hutunterseite: Befindet sich an dieser eine schwammartige Röhrenschicht, handelt es sich um einen Röhrlingspilz.

«Ist der Patient sich sicher, dass er einen Röhlingspilz konsumiert hat, besteht keine Lebensgefahr. Es gibt zwar auch bei Röhrlingspilzen giftige Exemplare, die schwere Magen-Darm-Beschwerden auslösen können, bei den Röhrlingen kommt es jedoch nie zu einem tödlichen Leberversagen» berichtet Dr. Reichert.

Gefährlicher sind hingegen die Lamellenpilze, bei denen die Hutunterseite von kleinen Fächern, bzw. Lamellen, überzogen sind. Unter ihnen gibt es mehrere Speisepilze – etwa den Waldchampignon – aber auch hochgiftige Exemplare. Hier ist die Unterscheidung schwieriger - dafür muss ein Pilzexperte beigezogen werden.

Eine andere Möglichkeit ist es, das Pilzgift Amatoxin im Blut oder Urin zu kontrollieren. Dann kann gegebenenfalls eine antidotale Therapie eingeleitet werden.

Quelle

WebUp «Updates für Hausärztinnen und Hausärzte - 6 Highlights in 60 Minuten» des Forums Medizin Fortbildung (FoMF) vom 31.10.2022.