«Zappelphilipp» wird erwachsen

Bei Erwachsenen ist ADHS oft weniger offensichtlich

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bleibt bei Erwachsenen häufig unerkannt. Ein Experte erläutert am Ärztekongress 2023, was die ADHS-Abklärung bei Erwachsenen beinhaltet, welche therapeutischen Möglichkeiten bestehen und wie auch Allgemeinärzte Betroffene medikamentös einstellen können.

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3. Aug. 2023
ADHS hat bei Erwachsenen oft ein anderes Gesicht.
Andrii Zastrozhnov/gettyimages

«Wenn Personen als Kind an Legasthenie, Dyskalkulie, Asperger-Syndrom, Tics oder Tourette-Syndrom gelitten haben, ist es gut möglich, dass damals die ADHS-Diagnose verpasst wurde», sagt Dr. Michael Fischer, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Praxis Neuro­Pychiatrie.CH in Wallisellen (1).

Überdies ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Personen, die in der Adoleszenz mit psychiatrischen Erkrankungen diagnostiziert wurden, an einer ADHS leiden. Gemäss aktuellen Studien erfüllen 60 Prozent aller Patienten in psychiatrischen Kliniken die Kriterien für eine ADHS.

Viel Energie, oft erschöpft

In der typischen psychosozialen Anamnese finden sich wiederholt neu angegangene und wieder gestoppte Projekte wie Hobbies und Arbeitsstellen. «Zudem können Konflikte mit Vorgesetzten oder Partnern und allenfalls Straftaten auf eine ADHS hinweisen», sagte der Experte. Patienten sind zudem typischerweise unaufmerksam, hyperaktiv und weisen eine emotionale Instabilität und Impulsivität auf – letztere begünstigt eine erhöhte Risikobereitschaft.

Im Berufs- und Privatleben erreichen Menschen mit ADHS aufgrund ihrer Symptome oft nicht ihre ursprünglich gesetzten Ziele, was einen starken Leidensdruck erzeugt. Betroffene kompensieren diese Defizite mit guten Leistungen und Motivation, neigen jedoch zu Erschöpfungsphasen. Patienten mit ADHS zeigen sich meist begeistert und fasziniert – die Hyperaktivität äussert sich dann in Energie und Leidenschaft.

Fragebögen helfen, die Diagnose zu objektivieren

Die Diagnose wird primär klinisch gestellt, Fragebögen und Zusatzuntersuchungen geben mehr Sicherheit, vor allem vor dem Hintergrund der ADHS als «Modediag­nose». Nützlich ist die Homburger ADHS-Skala für Erwachsene (HASE) – sie dient zur syndromalen Diagnostik der ADHS im Erwachsenenalter.

Differenzialdiagnostisch kommen posttraumatische Belastungsstörungen, bipolar affektive Störungen, emotional-instabile Persönlichkeiten und Abhängigkeiten in Frage. Eine Kombination mit Erschöpfung oder Depression ist nicht selten.

Auch Komorbiditäten sind häufig. «Schlafstörungen betreffen über 80 Prozent der Patienten, Angst- und Zwangsstörungen 32–53 Prozent und Abhängigkeitserkrankungen 30–50 Prozent», betonte der Experte. Eine ADHS kann andere Störungen mitverursachen und begünstigen, was auch umgekehrt gilt.

Basistherapie retardiertes Methylphenidat

Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz die Wirkstoffe Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Diese verändern das Zusammenspiel bestimmter Neurotransmitter und können die ADHS-Symptomatik verbessern.

Dr. Fischer empfiehlt als Basisbehandlung retardierte Methylphenidat-Präparate in einer anfänglichen Dosierung von 18 mg morgens. Nach einer Woche kann man das Medikament bei ungenügender Wirkung aufdosieren auf maximal 54 mg morgens und 36 mg mittags, falls die Wirkung trotz Retardform nicht über den ganzen Tag anhält. Wechselwirkungen wurden u.a. mit Vitamin-K-Antagonisten, Antiepileptika, Antidepressiva, Antihypertensiva und Alkohol beschrieben.

Eine Alternative ist Lisdexamfetamin. Als Prodrug zeichnet sich der Wirkstoff durch seine lange Wirkdauer aus. Bei den beiden Wirkstoffen können als Nebenwirkungen Appetitminderung, Kopfschmerzen und Schlafstörungen auftreten.

Bupropion und Venlaflaxin können off-label zum Einsatz kommen. Beide Substanzen verfügen über eine gute Wirkungsamkeit, zeigen jedoch im Nebenwirkungsprofil ebenfalls häufig Schlafstörungen.

Nicht-medikamentöse ADHS-Therapie bei Erwachsenen

Grundpfeiler der nichtmedikamentösen ADHS-Therapie sind die Psychoedukation und eine Psychotherapie zur Verbesserung der Emotionsregulation und sozialer Kompetenzen, so der Experte. Ergotherapien helfen Patienten zudem beim Erlernen von Zeitmanagement und Problemlösungsstrategien. Betroffene trainieren so bewusst Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen.