Das Bild von HIV und AIDS, mit dem eine ganze Generation aufgewachsen ist, ist nicht mehr gültig. Und die neue Generation macht sich kaum mehr ein Bild davon. Was also gilt auch heute noch? Und was hat sich grundlegend verändert?
Das Bild von HIV und AIDS, mit dem eine ganze Generation aufgewachsen ist, ist nicht mehr gültig. Und die neue Generation macht sich kaum mehr ein Bild davon. Was also gilt auch heute noch? Und was hat sich grundlegend verändert?
AIDS wird durch das HIV-Virus ausgelöst. HIV steht für Humanes Immundefizienz-Virus. Das Virus wird über Blut und Körperflüssigkeiten übertragen (Box 1) und befällt Zellen des Immunsystems, die deswegen nach und nach absterben. Als Folge davon wird das Immunsystem immer schwächer und anfälliger, so dass lebensbedrohliche Infektionskrankheiten und Krebs entstehen.
Ist dieses letzte Stadium der HIV-Infektion erreicht, spricht man von Aids (Acquired immune deficiency syndrome). Das ist gleich geblieben. Das hat sich nicht verändert. Ohne Behandlung verläuft eine HIV-Infektion in fast allen Fällen tödlich.
Das Virus kann auch nicht wieder aus dem Körper entfernt werden: Ist es da, bleibt es da. Und noch immer gibt es keine Impfung, mit der man sich schützen könnte.
Was ebenfalls geblieben ist, sind die Vorurteile. Die Angst vor Ansteckung und die soziale Ausgrenzung HIV-Infizierter.
Was sich jedoch verändert hat, ist das Interesse an diesem Thema: Es ist viel weniger geworden. Leider, muss man sagen. Denn vieles, was damals galt, stimmt heute nicht mehr. Und so kommt es, dass mehr als dreissig Jahre nach der Entdeckung des Virus erneut grosse Anstrengungen unternommen werden, um die Menschheit über HIV aufzuklären. Und zwar über das, was sich seither grundlegend verändert hat.
35 Millionen Menschen sind seit dem Beginn der Epidemie in den 80er Jahren an AIDS gestorben. Damals gab es noch keine Therapie. Erst sieben Jahre später, 1987, kam das erste Medikament auf den Markt: Zidovudin. Zur damaligen Zeit das teuerste Medikament aller Zeiten!
Doch die Therapie war sehr umständlich, mit schweren Nebenwirkungen behaftet und von bescheidener Wirkung. Der erste Durchbruch kam zehn Jahre später, 1996, als verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung standen und man begann, diese miteinander zu kombinieren.
Auch heute noch ist die Kombinationstherapie das A und O einer jeden HIV-Behandlung. Mit ein paar wesentlichen Unterschieden: Die modernen antiretroviralen Wirkstoffe – so werden im Fachjargon Wirkstoffe genannt, die das HIV-Virus bekämpfen – sind nicht nur deutlich wirksamer, sondern auch sehr viel besser verträglich geworden.
Auch die Einnahme der Medikamente hat sich stark vereinfacht, weil heute zwei bis drei Wirkstoffe in einer einzigen Tablette kombiniert werden können. Mittlerweile sind bereits schon Generika erhältlich.
Im Gegensatz zum moderaten Therapieerfolg in den Anfängen, sind moderne antiretrovirale Kombinationstherapien heute in der Lage, die Vermehrung der Viren bei den meisten HIV-Betroffenen so zuverlässig zu unterdrücken, dass im Blut keine Viren mehr nachweisbar sind.
Keine Viren im Blut bedeutet, dass keine weiteren Immunzellen zerstört werden können. Keine Viren im Blut bedeutet auch, dass keine andere Person mit dem Virus angesteckt werden kann! Daher lautet die klare Botschaft: Nicht nachweisbar – nicht übertragbar!
Betroffene, die regelmässig ihre Medikamente einnehmen und deren Viren im Blut sich seit einem halben Jahr unter der Nachweisgrenze befinden, sind sexuell nicht mehr ansteckend. Sie können ungeschützten Geschlechtsverkehr haben und auf natürlichem Weg Kinder zeugen.
Ihre Lebensqualität und Lebenserwartung sind heute fast so hoch wie bei Menschen, die dieses Virus nicht in sich tragen. Das sind Dinge, die sich grundlegend verändert haben und doch nicht im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen sind. Vorurteile und Stigmatisierung sind mittlerweile vielleicht schwieriger zu ertragen als die Diagnose selbst.
In der Schweiz leben ungefähr 20'000 Menschen mit HIV. Jedes Jahr kommen ca. 500 neue Diagnosen dazu, fast zwei Personen pro Tag. HIV betrifft längst nicht mehr nur homosexuelle Männer, Drogenabhängige und Junge, sondern auch ältere und heterosexuelle Menschen, Frauen wie Männer.
Und während HIV-Neuansteckungen in den Ländern Afrikas mit der grössten Ausbreitung in der Zwischenzeit rückläufig sind, melden Osteuropa und Zentralasien geradezu alarmierende Zahlen. Das heisst ̶ ob man’s mag oder nicht ̶ : Die «Safer Sex» Regeln (siehe Box) gelten eben immer noch!
Vaginal- und Analverkehr immer mit Kondom.
Alle weiteren Safer-Sex-Empfehlungen je nach individueller Situation gemäss Safer-Sex-Check auf lovelife.ch
Ein grosses Problem ist, dass die HIV-Infektion oft zu spät entdeckt wird. Vor allem bei Menschen, die nicht zu den traditionellen Risikogruppen gehören. Man denkt einfach nicht daran, dass sie an «so etwas» wie einer HIV-Infektion leiden könnten.
Dazu kommt, dass die Symptome, die mit einer HIV-Neuinfektion einhergehen, oft nicht beachtet oder als Erkältungs- bzw. Grippesymptome abgetan werden (siehe Box 3). Wenn also solche Symptome auftreten, nachdem man ein Risiko eingegangen ist, sollte man unbedingt zum Arzt gehen.
Denn während der ersten Zeit einer frischen HIV-Infektion vermehren sich die Viren besonders stark, so dass es im Blut und in den Schleimhäuten nur so davon wimmelt. Da Betroffene zu diesem Zeitpunkt hochansteckend sind, jedoch meist noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen, finden in dieser Phase die meisten Ansteckungen von Sexualpartnern statt.
Bei 40-90% der HIV-Neuinfektionen treten wenige Tage bis vier Wochen nach einer HIV-Infektion grippeähnliche Symptome auf:
Beim Auftreten solcher Symptome nach einer Risikosituation (siehe Box 1) sollte unbedingt ein Arzt aufgesucht werden.
Auch für den Betroffenen ist es wichtig, dass die Infektion so rasch wie möglich entdeckt und behandelt wird, um möglichst viele Zellen des Immunsystems zu erhalten ‒ bevor sie zugrunde gehen und erste Komplikationen entstehen. Dazu muss man seinen HIV-Status jedoch kennen, also ob man HIV-positiv (infiziert) oder negativ (nicht infiziert) ist.
Bisher wurden HIV-Tests in der Schweiz entweder beim Arzt, im Spital oder von professionellen Test- und Beratungsstellen durchgeführt. Seit dem 19. Juni 2018 dürfen hierzulande auch HIV-Tests zur Eigenanwendung, sogenannte HIV-Selbsttests, verkauft werden. Mit diesem Angebot sollen mehr Personen erreicht werden, die sonst keinen Test machen würden.
Wenn mehr Menschen sich testen lassen, gibt es auch mehr Diagnosen, mehr Therapiestarts, weniger Aids-Ausbrüche und weniger Neuansteckungen. Deshalb ist die Idee nicht schlecht, HIV-Tests für den Eigengebrauch anzubieten, wenn dabei ein paar wichtige Regeln beachtet werden: HIV-Selbsttests reagieren auf Antikörper, die vom Organismus gegen das Virus gebildet werden. Dazu wird – je nach Test – ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe oder eine Speichelprobe benötigt. Allerdings kann es bis zu drei Monate dauern, bis genügend Antikörper für den Nachweis durch diese Art Test gebildet worden sind.
Das heisst: ein negatives Testergebnis mit einem HIV-Selbsttest ist nur dann zuverlässig, wenn seit dem letzten Risiko mindestens drei Monate vergangen sind. Es ist wichtig, die Gebrauchsanweisung genau zu studieren und zu befolgen.
Bei Unsicherheiten zum geeigneten Testzeitpunk oder Fragen zur Gültigkeit eines Ergebnisses ist der Arzt, das Spital oder eine der professionellen Test- und Beratungsstellen die richtige Adresse (www.aids.ch).
Bei einem negativen Testergebnis darf sich Erleichterung breit machen, sofern die Bedingungen für den Selbsttest eingehalten worden sind. Aber Achtung: Ein negatives Testergebnis bedeutet nicht automatisch, dass auch der Sexualpartner bzw. die Sexualpartnerin HIV-negativ ist.
Es kann notwendig sein, sich (weiterhin) vor Ansteckung zu schützen, bis auch der Partner bzw. die Partnerin den eigenen HIV-Status kennt. Ein negatives Testergebnis bedeutet auch nicht, dass das bisherige Schutzverhalten ausreichend war und so weitergeführt werden kann (siehe Box "Safer Sex").
Ist der HIV-Selbsttest positiv, ist spätestens jetzt der Moment gekommen, sich einem Arzt anzuvertrauen. Jedes positive Ergebnis muss mit einem HIV-Labortest überprüft werden. Sexualpartner müssen vor Ansteckung geschützt werden!
Der Start einer medikamentösen Therapie bedeutet, dass sie konsequent und lebenslang durchgeführt werden muss. In Zukunft wird es sicherlich weitere Fortschritte geben, doch heute schon können Betroffene unter erfolgreicher Therapie ein annähernd normales Leben führen und die Ausbreitung des Virus verhindern – wenn sie über ihren HIV-Status Bescheid wissen.
Ist man ein Risiko eingegangen, ist es nicht einfach, aber notwendig, die Angst vor einem positiven Ergebnis zu überwinden und einen HIV-Test durchzuführen. Nur so kann gegebenenfalls die erforderliche Therapie eingeleitet werden ‒ sich selbst und all denen zu liebe, die Teil einer geteilten Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft sind. Für einen verantwortungsbewussten Umgang miteinander, wohin die Begegnung auch führen möge.