Frau Jung, was ist der häufigste Grund für Schlafprobleme?
Der häufigste Grund für Schlafprobleme ist die fehlende Regelmässigkeit. Jemand geht vielleicht einmal um 22 h und das nächste Mal um 24 h zu Bett. Aufstehen müsste er um 6 h. Am Wochenende schläft er dann bis 9 h, was zur Folge hat, dass er Sonntagsabends auch wieder spät ins Bett geht, weil er später müde wird. Dann beginnt er die neue Woche am Montagmorgen bereits mit einem Schlafdefizit. Das führt zu verstärkter Anspannung, verminderter kognitiver Leistung und erhöht den Stress, weil er seine Arbeit nicht so schafft, wie er das gerne möchte. Dies Anspannung wirkt bis in den Abend hinein und erschwert dann wiederum das Einschlafen.
Der Mensch ist nun einmal ein rhythmisches Wesen. Unser Organismus braucht Regelmässigkeit. Deshalb sollte man möglichst immer zur selben Zeit ins Bett gehen und aufstehen, also nicht mehr als eine Stunde Unterschied zulassen, auch nicht an Wochenenden. Das fällt vielen am Anfang schwer. Dann versuche ich sie zu motivieren, erst einmal nur für eine Woche durchzuhalten. Die meisten realisieren dann bereits, wieviel besser es ihnen damit geht.
Wenn Sie von Stress und Anspannung sprechen, die das Einschlafen behindern – was kann man tun, um das Nervensystem zu beruhigen und zu entspannen?
Schlaf ist eine Angelegenheit des vegetativen Nervensystems. Das vegetative Nervensystem besteht aus den beiden Komponenten Sympathikus und Parasympathikus, die Gegenspieler sind. Während der Sympathikus aktivierend wirkt, ist der Parasympathikus an der Regeneration unseres Schlafs beteiligt. Oft sind unsere Tage so voll und hektisch, dass wir kaum mehr runterkommen.
Die 4–7–8-Übung ist eine ganz einfache, aber hoch effektive Atemübung, um das vegetative Nervensystem zu regulieren. Die Atemübung beruht auf dem Prinzip, dass beim Einatmen der Sympathikus und beim Ausatmen der Parasympathikus aktiviert wird. Die Idee der Übung ist, deutlich länger auszuatmen als einzuatmen, um den Sympathikus herunterzufahren und den Parasympathikus zu stärken. Bei der Übung wird 4 Sekunden lang durch die Nase eingeatmet, dann still auf 7 gezählt und anschliessend auf 8 zählend langsam wieder ausgeatmet. Während des ganzen Atemzyklus empfiehlt es sich, die Zunge innen locker gegen die oberen Schneidezähne zu legen.
Diese Atemübung sollte natürlich gelingen, ohne nach Luft japsen zu müssen. Deshalb empfehle ich auch immer, den Atemzyklus bei Tage einzuüben und nicht erst dann, wenn man mit Einschlafproblemen im Bett liegt.
Was halten Sie von den allgemein bekannten Empfehlungen zur Schlafhygiene?
Empfehlungen zur Schlafhygiene machen Sinn, wenn man sie nicht als Problemlöser für alle Schlafprobleme betrachtet. Wenn jemand zum Beispiel per se eine stabile Herzrate hat, helfen Ratschläge wie «abends keinen Kaffee trinken» oder «keine schweren Mahlzeiten» nicht weiter. Wenn die Ursache für die Schlafprobleme woanders liegt, kommt man mit Ratschlägen zur Schlafhygiene allein meist nichts ans Ziel. Trotzdem gibt es natürlich ein paar Empfehlungen, die für guten Schlaf förderlich sind.
Wie sieht es denn zum Beispiel mit dieser Streitfrage vieler Paare aus: Fernseher im Schlafzimmer – ja oder nein?
Das Bett sollte für nichts anderes als zum Schlafen genutzt werden – Sex mal ausgenommen. Das heisst, kein Fernsehen, kein Essen, kein Scrollen durch Social Media im Bett. Das ist wichtig, damit das Bett tatsächlich mit Schlaf und Erholung verbunden wird. Alle Blaulicht emittierenden Geräte behindern ausserdem die Melatonin-Ausschüttung – der Freisetzung des Schlafhormons – und sollten auch deshalb nicht kurz vor dem Schlafengehen genutzt werden.
Eine weitere wichtige Regel lautet: Wer nicht einschlafen kann, sollte das Bett auch wieder verlassen. Da hilft beispielsweise ein «Grübelstuhl», also eine Sitzgelegenheit ausserhalb des Schlafzimmers, auf den man sich setzt und sich den Gedanken hingibt, die einem beschäftigen. Hängt man Dingen nach, die man morgen unbedingt erledigen muss oder nicht vergessen darf, kann es sehr hilfreich sein, diese aufzuschreiben. Wenn man weiss, wo man die Gedanken wiederfindet, kann man sie auch besser loslassen.
Was taugen Schlafrituale, wie man sie bei Kindern kennt?
Schlafrituale sind sehr hilfreich. Unser Körper gewöhnt sich an diese Rituale. Sie signalisieren ihm, dass es dann jetzt gleich ins Bett geht und helfen ihm, sich darauf vorzubereiten. Ein Schlafritual kann zum Beispiel ein schönes, warmes Fussbad oder ein wohlschmeckender Tee am Abend sein. Es gibt dazu viele schöne Teemischungen, die Sie Ihren Kunden in der Apotheke anbieten könnten.
Beim Schlafen hat man die Augen zu. Wieso sollte man im Schlafzimmer auf Ordnung achten, wie Sie es empfehlen?
Das Schlafzimmer sollte keine unaufgeräumte Abstellkammer, sondern eine kleine Wohlfühloase sein. Ein Raum, in den man sich gerne zurückzieht. Vielleicht sogar mit ein paar Pflanzen, die für ein gutes Raumklima sorgen, wie der Bogenhanf beispielsweise, der nachts Kohlendioxid in Sauerstoff umwandelt oder Efeu, der innerhalb von 12 Stunden etwa 80 % aller Schimmelsporen aus der Luft entfernt. Die Pflanzen im Schlafzimmer sollten jedoch nicht in Erde, sondern in Granulat gehalten werden.
Ein weiterer Punkt, der oft vernachlässigt wird, ist die Matratze. Die Matratze sollte mindestens alle 10 Jahre ausgetauscht werden. Nicht nur weil sie irgendwann abgelegen ist, sondern auch, weil sich das Körpergewicht mit dem Älterwerden meist verändert. Zur Wahl einer passenden Matratze lässt man sich am besten in einem Fachgeschäft beraten.
Ein kleines Licht oder komplette Dunkelheit?
Licht unterdrückt die Melatonin-Ausschüttung und kurbelt die Kortisol-Produktion an. Wenn nachts eine Strassenlaterne oder morgens früh die Sonne hineinscheint, kann das den Schlaf empfindlich stören. Das Schlafzimmer sollte deshalb gut abgedunkelt werden können. Wenn das nicht geht, kann eine Schlafmaske getragen werden. Wer nachts zur Toilette geht, sollte auf das grosse Licht verzichten. Besser nur eine Taschenlampe mitnehmen, die unterwegs auf den Boden leuchtet. Wer abends noch lange vor dem Bildschirm arbeiten muss, sollte es mit einer Blaulichtblocker-Brille versuchen. Die Brille ist besser als Blaulichtfilter des Bildschirms, diese schirmen nicht zu 100 % ab. Bei Bedarf können unterstützend Mittel aus der Apotheke eingesetzt werden.